Wer die Philosophie sucht, kommt in ihr um,

antwortete eine Frauenstimme. Hilde wandte sich um und blickte in das ironisch lächelnde Gesicht einer jungen, hochgewachsenen Frau. ,,Wie bitte?''

,,Ich heiße Anja und arbeite an der Rekonstruktion eines fragmentierten Selbst.''

Hilde war zu verblüfft, um sofort antworten zu können. ,,Ich ... hei ... ße ... Hilde und wand'le in Sofies Welt. Ist Deine Arbeit auch philosophischer Natur?''

,,Ich betreibe eine philosophische Praxis für Lebensfragen. Mit der diskursiven Verflüssigung ihrer Lebensprobleme mache ich auf meine reichen Sorgenkinder tiefen Eindruck.'' Anja lächelte verschmitzt.

Noch ehe Hilde `was sagen konnte, trat die Witzfigur hinzu:

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin.
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor ...

Der Narr umtänzelte die Frauen und klatschte erfreut in die Hände: ,,Wenn ich bitten darf?''

Hilde folgte Anja durch die Außentür der Halle ins Freie. Auf dem Parkplatz stand ein nachtblauer Mercedes 600 SEL mit schwarzen Ledersitzen und Nußholzamaturen. ,,Das ist Hektor'', sagte Anja zu Hilde gewandt. ,,Gefällt er Dir?''

,,Was für `ne Verschwendung'', empörte sich Hilde. ,,So ein großer Wagen in der Stadt! Welch eine Umweltverschmutzung!''

Unterdessen hielt ihr der Spaßmacher die Tür auf und verneigte sich: ,,In der Monarchie zählt nur die Etikette.''

Die Damen nahmen im geräumigen Fond Platz. ,,Wo sollte ich denn in einem Minicooper mein Beine lassen?'' fragte Anja scheinbar eintrüstet.

Hektor startete mit sonorem Schnurren und setzte sich sanft in Bewegung. Verstohlen betrachtete Hilde die attraktive Frau neben ihr. Aus einem Ledermini, der kaum länger als ein Gürtel breit war, ragten lange, wohlgeformte Bein hervor. Sie ruhten in Lederstiefeln. Anja hatte ihren leichten Ledermantel breit zurückgeschlagen. Ihre festen Brüste wölbten ein enges T-Shirt der UCB mit der Aufschrift: Let there be light.

,,Wo fahren wir eigentlich hin?'' wollte Hilde wissen.

,,Immer nach Hause'', antwortete der Spaßmacher in einer romantischen Anwandlung.

,,Zum Flughafen'', begann Anja. ,,Ich komme mit meinem Rekonstruktionsproblem nicht weiter. Deshalb habe ich mich in Berkeley als Tutorin zur Sommerschule angemeldet.'' Bevor Hilde `was erwidern konnte, fuhr sie fort: ,,Mich interessiert die Fortführung der Zivilisationskritik Adornos in der Postmoderne ... ''

Mit einem Ruck wurde Hilde auf Anja geschleudert. Der rote Schatten eines flachen Sportwagens zischte vorbei.

,,Ich hasse Autofahren'', quengelte der Narr. ,,Fossile Technik. Hinterm Steuer Neandertaler.''

Noch auf dem Schoß Anjas hockend, verfolgte Hilde durchs Heckfenster die rasch kleiner werdende Silhouette, die am Ende der geraden Allee in einer grellroten Explosion zerstob.