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Wirkungen und Nachwirkungen

Thomas Manns Jugendwerk Buddenbrooks erschien im Oktober 1901. Weite Verbreitung fand es aber erst mit der verbilligten einbändigen Volksausgabe von 1903. Bis 1918 waren dann 100 Tausend Exemplare verkauft. Es war der Ruhm, erinnert sich der Autor 1930 in seinem Lebensabriß: Ich wurde in einen Erfolgstrubel gerissen, wie ich ihn später noch zweimal, binnen weniger Jahre, an meinem fünfzigsten Geburtstag und jetzt bei der Verleihung des Nobelpreises, jedesmal mit gemischten Gefühlen, voller Skepsis und Dankbarkeit, erlebt habe. Meine Post schwoll an, Geld strömte herzu, mein Bild lief durch die illustrierten Blätter, hundert Federn versuchten sich an dem Erzeugnis meiner scheuen Einsamkeit, die Welt umarmte mich unter Lobeserhebungen und Glückwünschen ... Im Kommentarband der GKFA zu Buddenbrooks werden bis heute Übersetzungen in fast vierzig Sprachen aufgelistet. Damit ist der Roman zu einem Klassiker der Weltliteratur geworden. Und auch der Nobelpreis wurde vornehmlich ihm zuerkannt und nicht etwa dem kompositorisch ausgefeilterem und inhaltlich anspruchsvollerem Zauberberg. Ganz ähnlich erging es Albert Einstein, der den Nobelpreis nicht für die Relativitätstheorie, sondern ausdrücklich für die Erklärung des photoelektrischen Effektes durch die ,,Photonenhypothese`` aus seiner ersten Arbeit zur Quantentheorie von 1905 erhalten hatte.

Im Jan. 1944 schreibt Franz Werfel in einem Brief an Thomas Mann: Wahrhaftig, die Buddenbrooks sind unsterblich. Sie haben die herrliche Eigenschaft organischer Substanz, mit der Zeit zu wachsen. Von Welken ist nichts zu spüren. Ich habe diesem Buch vier volle Tage zu verdanken, die es der Leere meines gegenwärtigen Daseins geschenkt hat. Der Adressat erinnert 1949 in der Entstehung des Doktor Faustus an den Brief des Freundes: 1944 war erst einige Tage alt, als ein denkwürdiger Brief von Werfel eintraf, auf seinem Krankenlager - es mochte sein Sterbelager sein - diktiert, über ,,Buddenbrooks``, die er mit feierlichem Nachdruck ein ,,unsterbliches Meisterwerk`` nannte. Obgleich das Jugendwerk nun so lange schon, fast ein halbes Jahrhundert lang, sein eigenes, von mir abgelöstes Leben führte und ich es kaum noch als mir zugehörig empfand, war ich tief betroffen von dieser Botschaft, die mich unter so eigentümlichen Umständen erreichte. Mein gegenwärtiges dichterisches Anliegen war ja etwas wie eine späte Rück- und Heimkehr in die deutsch-altstädtische und musikalische Sphäre jenes Erstlingsromans ... Nicht nur für den Autor schloß sich ein Kreis zu den Anfängen, sondern auch für die Literaturkritik. Bereits im Sept. 1902 hatte der Kulturkritiker Samuel Lublinski in einer Rezension der Buddenbrooks für das Berliner Tageblatt die geradezu prophetischen Worte gefunden, daß dieser Roman ein unzerstörbares Buch bleibe: Er wird wachsen mit der Zeit und noch von vielen Generationen gelesen werden: eines jener Kunstwerke, die wirklich über den Tag und das Zeitalter erhaben sind, die nicht im Sturm mit sich fortreißen, aber mit sanfter Überredung allmälig und unwiderstehlich überwältigen.

Zu den vielen wohlwollenden und gar überschwenglich lobenden Besprechungen gesellten sich allerdings schon frühzeitig die reaktionär-hinterweltlichen Stimmen der deutschtümelnden Nationalisten und antisemitischen Rassisten. Der deutschvölkische Antisemit Otto Schmidt-Gibichenfels schreibt im Nov. 1909 in der Deutschen Tageszeitung unter dem Titel Ein Vorkämpfer für jüdische Rassenpolitik: So versucht denn der von Juden und Judengenossen berühmt gemachte Thomas Mann in dem Roman ,,Die Buddenbrooks`` dem deutschen Lesepublikum, soweit es noch harmlos ist, vorzuschwindeln, wie eine alte, durch Inzucht, Wohlleben und lang andauernde Stadtkultur körperlich und seelisch heruntergekommene deutsche Kaufmannsfamilie nur dadurch wieder und zwar nicht bloß wirtschaftlich, sondern auch rassenhaft in die Höhe kommt, daß sie in eine jüdische Familie hineinheiratet. Die noch recht harmlos beginnende antisemitische Bewegung gipfelt dann nach der Machtergreifung Hitlers in einem Brief an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, in dem es heißt: Könnte man nicht vielleicht Herrn Thomas Mann, München, für seinen Sohn ein wenig inhaftieren? Seine geistige Produktion würde ja durch eine Herbstfrische in Dachau nicht leiden. Aus diesem Brief des Chefdramaturgen des staatlichen Schauspiels in Berlin, Hans Johst, der seinerzeit auch bei den Manns verkehrte, zitieren die Jensens in ihrer Biographie über Frau Thomas Mann. Das an die Macht gelangte Mittelmaß machte Jagd auf die beneideten Genies.

Der Woge deutschvölkischer und antisemitischer Hetztiraden und Propaganda stellte sich der Schriftsteller und Feingeist immer wieder entgegen, blieb aber zunehmend erfolglos. Seine im Okt. 1930 im Berliner Beethovensaal gehaltene Deutsche Ansprache, als Appell an die Vernunft gedacht, gibt sich ausnehmend politisch und empfielt dem Bürgertum seinen Platz an der Seite der Sozialdemokratie. Ganz im Sinne der Marxschen Einsicht, daß das Sein das Bewußtsein bestimme, hebt der Literat einleitend hervor: Es heißt wohl zu viel verlangen, wenn man von einem wirtschaftlich kranken Volk ein gesundes politisches Denken fordert. Die kranke Seelenlage des wirtschaftlich niedergehenden Mittelstandes und der Kleinbürger charakterisiert der Schöngeist dann als Naturreligiösität, die ihrem Wesen nach zum Orgiastischen, zur baccischen Ausschweifung neige und in Verbindung mit der irrationalen Philologen-Ideologie, Germanisten-Romantik und Nordgläubigkeit in den geistlosen Veitstanz des Fanatismus münde. Die weiteren Ausführungen des Dichters zum Marxismus der deutschen Sozialdemokratie werden immer wieder von Störungen germano-faschistischer Eiferer im Publikum unterbrochen.

Unter Zwischenrufen und tumultartigen Übergriffen von NS-Studenten während seiner Vorlesungen und Vorträge hatte auch Albert Einstein mit dem Erstarken des Germano-Faschismus zu leiden. Der antisemitische Haß der deutschvölkischen Schwachköpfe und Zukurzgekommenen gipfelte in Morddrohungen, die den Gelehrten und Weltbürger wiederholt zu Auslandsreisen nötigten. Hermann hat in seiner Biographie Einsteins nachgezeichnet wie es zu der beispiellosen Popularität des Eigenbrötlers und zu dem fanatischen Haß auf den Weltweisen hatte kommen können: Die erste Stufe zur Berühmtheit ist die Anerkennung unter den Fachkollegen. Die hat sich Einstein in den Jahren seit 1905 erworben. Bei der Salzburger Naturforscherversammlung 1909, als er zum erstenmal an einem wissenschaftliche Kongreß teilnahm, rühmte Max Planck die SRT als eine kopernikanische Tat. Die zweite Stufe ist das Interesse eines weiteren Kreises von Wissenschaftlern und allgemein Gebildeten. Im Falle Einsteins waren das die Philosophen und philosophisch Gebildeten, die gehört hatten, daß durch ihn ,,Kant entthront`` worden sei. Fortan kommen auch die Gebildeten der Umgebung zu seinen Vorträgen in die Universität. In der dritten Stufe der Berühmtheit erwächst die Neugier des großen Publikums, und die Zeitungen steigen ein. Nachdem eine britische Expedition die Vorhersage der ART zur Ablenkung des Lichtes eines Fixsterns im Schwerefeld der Sonne bestätigt hatte, erschien am 14. Dez. 1919 die Berliner Illustrierte mit einem großen Titelphoto und der Überschrift: Eine neue Größe der Weltgeschichte: Albert Einstein, dessen Forschungen eine völlige Umwälzung unserer Naturauffassung bedeuten und den Erkenntnissen eines Kopernikus, Kepler und Newton gleichwertig sind. Hermann kommentiert: Diesen Durchbruch zum großen öffentlichen Interesse hatte der Zeitgeist bewirkt. Die Anerkennung der Einsteinschen Theorie durch britische Gelehrte war in Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg Balsam für den verletzten Nationalstolz. Und das mußte ausgerechnet dem Anti-Nationalisten Einstein passieren, der nicht verstand, was die Leute eigentlich von ihm wollten und sich immer wieder vorkam, wie ein Schwindler, wie ein Hochstapler, der den Leuten gar nicht das bringe, was sie von ihm erwarteten.

Ruhm und Ansehen rufen aber auch Neid und Mißgunst auf den Plan. Mit Einstein wurde nicht nur die ART gefeiert, sondern die theoretische Physik überhaupt sagenhaft aufgewertet. Das schürte den Argwohn der ohnehin den Theoretikern gegenüber skeptischen Experimentalphysiker. Kaum einer der praktisch arbeitenden Naturforscher verstand damals die ART. Paarte sich dieses Minderwertigkeitsgefühl mit verletztem Nationalstolz, wuchs es zu deutschvölkischem Haß aus, dem es gelegen kam, daß sein Opfer ein Jude war, der sich auch noch offen zum Sozialismus bekannte. Es war der Experimentalphysiker und Nobelpreisträger Philipp Lenard, ein deutschnationaler Antisemit, der angestachelt durch den ,,Relativitätsrummel`` Anfang der 1920er Jahre die Gründung einer ,,Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft`` plante. Eine Bewegung braucht einen Kopf und einen Säbel, merkt Hermann dazu an. Der Hochstapler und Betrüger, primitive Antisemit und deutschvölkische Anti-Demokrat Paul Weyland diente sich Lenard 1920 als Propagandist und Stimmungsmacher an. Er verfaßte Hetzschriften und organisierte Massenveranstaltungen, um die naive Volksseele in Wallung zu versetzen. Gegen den ,,wissenschaftlichen Dadaismus`` der Relativitätstheorie wollte er das ,,gesunde Volksempfinden`` mobilisieren. Am 3. Jan. 1921 greift Hitler die Stimmungsmache im Völkischen Beobachter auf, indem er gegen die ,,jüdische Wissenschaft`` polemisiert: Wissenschaft, einst unser Volkes größter Stolz, wird heute gelehrt durch Hebräer, denen diese Wissenschaft nur Mittel ist ... zur bewußten planmäßigen Vergiftung unserer Volksseele und dadurch zur Herbeiführung des inneren Zusammenbruchs unseres Volkes. Ob der Nur-Künstler rhetorischer Haßtiraden wußte, wovon er sprach? Wohl kaum. Er schürte lieber die primitiven Gefühle der Zukurzgekommenen.

Sachlicher und heiterer ging es auf der ,,Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte`` im Sept. 1920 zu. Die Diskussion erinnerte Einstein später als Hahnenkampf über Relativität. Lenard ging es um die Veranschaulichung des Gravitationsfeldes in der ART. Daraufhin entgegnete Einstein: Was der Mensch als anschaulich betrachtet, ist großen Änderungen unterworfen, ist eine Funktion der Zeit. Ein Zeitgenosse Galileis hätte dessen Mechanik auch für sehr unanschaulich erklärt. Diese anschaulichen Vorstellungen haben ihre Tücken, genau wie der viel zitierte gesunde Menschenverstand. Unter den Gelehrten hatte Einstein die Heiterkeit über diese ironische Belehrung auf seiner Seite. Auf der Straße dagegen dominierte nicht der zur Wissenschaft verfeinerte ,,gesunde Menschenverstand``, sondern sein zum gesunden Volksempfinden verhunzter antisemitischer Rassismus. Der weltweite ,,Relativitätsrummel`` hatte eine Flut popularisiert-vereinfachter bis hin zu propagandistisch-verzerrter Darstellungen zur Folge. Eine Vielzahl verkannter Genies sonnt sich bis heute im Ruhm Einsteins und versucht sich an ,,Verbesserungen`` oder ,,Widerlegungen`` seiner Theorie. Die von Einstein selbst verfaßte, gemeinverständliche Schrift Über die spezielle und die allgemeine Relativitästheorie von 1917 erreichte im Nov. 1920 eine Auflage von 50 Tausend. Einstein selbst war der Rummel und die Reklame um ihn natürlich zutiefst zuwider: Von hochtönenden Phrasen und Worten bekomme ich eine Gänsehaut. Er hatte aber auch seinen Spaß daran und sparte nicht mit lustig verpacktem Hohn und Spott. Einer Dame, die ihm im Febr. 1920 sein Photo schickte und eine Widmung erbat, reimte er die Zeilen:

Wo ich geh' und wo ich steh'

Stets ein Bild von mir ich seh',

Auf dem Schreibtisch, an der Wand,

Um den Hals am schwarzen Band.

Männlein, Weiblein wundersam

Holen sich ein Autogramm.

Jeder will ein Kritzel haben

Von dem hochgelehrten Knaben.

Manchmal denk' in all dem Glück

Ich im lichten Augenblick:

Bist verrückt du etwa selber

Oder sind die andern Kälber?

Den ,,Kälbern`` und Mitläufern aus dem Volk ging es nicht um das Verstehen seiner visionären mathematischen Kosmologie, sondern bloß darum, einem aufregenden Ereignis beizuwohnen, wenn er einen Vortrag hielt. Außenpolitisch wurde der Anti-Nationalist ironischerweise zu einem bedeutenden Kulturfaktor und Repräsentanten der deutschen Wissenschaft. Und so begab er sich in den 1920er Jahren vielfach auf Reisen. Dadurch entzog er sich auch der zunehmend erstarkenden reaktionären Strömungen im Deutschland der Weimarer Republik . Nationalismus und Antisemitismus breiteten sich nicht nur im Volk, sondern ebenso unter den Gelehrten der Naturforschergesellschaft aus. Auf ihrer Versammlung im Juli 1922 verteilten die deutschnationalen Getreuen Lenards ein Flugblatt gegen die Relativitätstheorie. Als ob es sich bei der Einsteinschen Theorie um eine politische Ideologie handelte. Nach der Ermordung Rathenaus spitzte sich die gereizte politische Atmosphäre derart zu, daß Einstein um sein Leben fürchten mußte und froh war, im Okt. 1922 nach Japan reisen zu können. Als ihm am 10. Dez. (für das Vorjahr) der Nobelpreis zugesprochen wurde, hatte er eine diebische Freude daran, dem Spektakel entronnen zu sein. Auch während der Machtergreifung am 30. Jan. 1933 weilte Einstein im Ausland. Für ihn war der Germano-Faschismus eine Völkerwanderung von unten, ein Zertrampeln des Feineren durch das Rohe. Sein offenes Eintreten für Freiheit und Demokratie machte ihn in den USA zu einem Gegenspieler Hitlers. Die demokratischen Staaten könnten sich nur mit politischer Festigkeit und militärischer Stärke gegen die NS-Gewaltherrschaft behaupten. Hitler gegenüber relativierte der Freigeist Einstein sogar seinen Pazifismus.

Im April 1933 begrüßte der Physiker in einem Brief an Thomas Mann den Literaten ausdrücklich als Mitstreiter im Kampf gegen ihren großen Widersacher in Deutschland. Als Repräsentant der ,,deutschen Kultur`` tat sich der Dichter allerdings schwer mit der Emigration ins englischsprachige Ausland. Wo ich bin, ist Deutschland, relativierte der Schriftsteller gleichwohl seinen Wohnort und siedelte zu seinem Vorläufer nach Princeton über. Bei der Ankunft in New York am 21. Febr. 1938 wurde der Großschriftsteller gefragt, whether he found his exile a difficult burden. Und Harpprecht zitiert als Antwort: It is hard to bear, but what makes it easier is the realization of the poisened atmosphere in Germany. That makes it easier because it's actually no loss. Where I am, there is Germany. I carry my German culture in me. I have contact with the world and I do not consider myself fallen. Der Haß der beiden Geistesheroen auf den germano-faschistischen Abschaum in Deutschland ging so weit, daß der Physiker dem amerikanischen Präsidenten im Juli 1939 den Bau einer Atombombe empfahl und der Literat ausdrücklich die Bombardierung deutscher Großstädte billigte und auch kein Mitleid zeigte als alliierte Bomber 1942 seine Heimatstadt Lübeck heimsuchten . Dem deutschen Obrigkeitsstaat und Untertanengeist waren beide schon im Jugendalter entgegengetreten. Ihre politischen Überzeugungen trafen sich in der Kritik am deutschen Weg in die Innerlichkeit seit Luther. Subjektiver Protestantismus, anti-napoleonischer Nationalismus und irrationaler Romantizismus in Verbindung mit blindem technisch-wissenschaftlichen Materialismus zeitigten bereits den Hurra-Patriotismus im 1. Weltkrieg und führten aus der Schmach der Niederlage, verletztem Nationalstolz und dem wirtschaftlichen Niedergang schließlich in den Kulturkampf der Germano-Faschisten gegen die gesamte zivilisierte Welt. Alles Thesen und Themen, die immer wieder bei Besuchen Einsteins im Hause der Manns in Princeton übereinstimmend diskutiert wurden und wiederholt zu Veröffentlichungen, Vorträgen und Resolutionen gegen Nazi-Deutschland Verwendung fanden. Auch den Mannschen Aufsatz Bruder Hitler hatten die beiden besprochen. Wie Hermann hervorhebt, hatte Einstein sich bereits eigene Gedanken über den GRÖFAZ gemacht: Dem Volke schmeichelte er durch jene romantischen Phrasen der Vaterländerei, an die es von der Vorkriegszeit her gewöhnt war, sowie durch jenen Schwindel von der Überlegenheit einer von den Antisemiten zu ihren besonderen Zwecken erfundenen ,,arischen`` beziehungsweise ,,nordischen`` Rasse. Die Verworrenheit seines Geistes macht es mir unmöglich zu beurteilen, bis zu welchem Grade er selbst an den Unsinn glaubte, den er unablässig predigte. Dienten die schönen Worte der feiner Besaiteten der Wahrheitsfindung, so versetzten die faschistischen Rohlinge mit den häßlichen Worten ihrer Haßtiraden lediglich die primitiven Gefühle der Volksseele in Wallung. Gegen Fanatismus und Grausamkeit half leider nur die alliierte Gegengewalt.

Neben den Gallionsfiguren Einstein und Mann emigrierten Tausende Intellektuelle aus Deutschland, der Großteil der gesamten Elite aus Kunst und Wissenschaft. Die germano-faschistischen Schwachköpfe beklatschten auch noch diesen Rückfall in die Barbarei als reinigenden Prozeß zur Gesundung des Volkskörpers. Den ungebildeten Mitläufern aus wirtschaftlicher Not mag man ihren Irrglauben nachsehen, nicht jedoch den vielen akademischen Befürwortern der NS-Herrschaft. Der antisemitsche, deutschnationale Experimentalphysiker Lenard wurde bereits als Gegenspieler des anti-nationalistischen Weltbürgers und theoretischen Physikers Einstein erwähnt. Klaus Hentschel hat in seiner detailreichen Studie die Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie durch Zeitgenossen Albert Einsteins untersucht. Nach der ersten Welle der Popularisierung Einsteins, setzte eine zunehmende Vulgarisierung und Ideologisierung der Relativitätstheorie ein, in denen die gemeinverständlich-seriösen Darstellungen nahezu untergingen. Einstein, der ,,Relativismus`` und die ,,Raumkrümmung`` waren in aller Munde. Aber kaum jemand verstand, worum es dabei eigentlich ging. In Deutschland kokettieren noch heute ,,Intellektuelle`` damit, von Mathematik keine Ahnung zu haben und die hinter den Bedienungsoberflächen verborgene Technik ebenso wenig zu verstehen. Gleichwohl schwingen sich diese Ahnungslosen und Unwissenden immer wieder zur Kritik an Wissenschaft und Technik auf. So auch schon Einsteins Zeitgenossen. Ein Heer von Philosophen und Kulturkritikern ohne mathematische und naturwissenschaftliche Vorbildung, meinte den ,,Relativismus`` kritisieren zu müssen, auf die ,,Gleichzeitigkeit distanter Ereignisse`` beharren zu können, das ,,Absolute`` und ,,Relative`` dialektisch auflösen zu sollen oder gar aus der ,,Energie-Massen-Äquivalenz`` auf die Überwindung von Idealismus und Materialismus schließen zu dürfen. Hervorgehoben wurde auch immer wieder, daß die Relativitätstheorie dem ,,gesunden Menschenverstand`` widerspreche oder gar das ,,gesunde Volksempfinden`` zerrütte.

Chauvinistische Verurteilungen der Einsteinschen Theorie in ausländischen Stellungnahmen begannen bereits mit dem 1. Weltkrieg. Insbesondere in Frankreich galten Relativitäts- und Quantentheorie als typisch deutsche ,,mathematisch-metaphysische Delirien``, wie Hentschel zitiert. Nach dem 1. Weltkrieg und der Anerkennung Einsteins durch die ,,Royal Society`` in England verlagerten sich die Chauvinismen der ausländischen Einstein-Gegner gleichsam durch ,,Inversion`` in anti-jüdische Propaganda innerhalb Deutschlands. Dem abstrakt-mathematischen Denken der Semiten wurde das konkret-einfühlende Volksempfinden der ,,Arier`` gegenübergestellt. Dabei wurde der ausufernde und geradezu massenhysterische ,,Relativitätsrummel`` absurderweise ausgerechnet Einstein selbst zum Vorwurf gemacht. Zudem galt die Relativitätstheorie als ,,Hirngespinst``, ,,rassistisch minderwertig``, ,,nihilistisch``, ,,dogmatisch`` und - nicht originell, da es ,,deutschstämmige Vorläufer`` gebe. Diese, nur mit dem Wahn religiöser Eiferer vergleichbaren, Diskriminierungen verfehlten ihre Wirkung nicht, weder im Volk noch unter den ,,Intellektuellen``.



 
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Ingo Tessmann
5/11/2003