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Also sprach Zarathustra

Ab dem Zarathustra werden die Gedanken Nietzsches zunehmend durch Leib und Leben geprägt. Seit der Jüngerschaft Schopenhauers und Wagners und den Höhenflügen des heiter Erkennenden in der fröhlichen Wissenschaft, brechen sich fortan Prophetie und Missionseifer in übersteigerter Selbststilisierung Bahn. Also sprach Zarathustra ist das Buch eines ,,tanzenden Geistes``, der sich aus der Berg-Einsamkeit wieder herunter begibt, um Mensch zu werden - und damit seinen Untergang beginnt. Den eigenen paralytischen Niedergang ahnend, mag Nietzsche sich im Propheten Zarathustra selbst überhöht haben. Seine folgenden Werke können gleichsam als von Zarathustra geschrieben angesehen werden. An den ersten drei Bänden arbeitete er zwischen 1883 und 1885. Einen vierten Teil verbreitete er nur als Sonderdruck; er wurde erst mit der Gesamtausgabe 1892, also nach seinem Untergang, veröffentlicht.

Das Buch für Alle und Keinen hebt im ERSTEN TEIL mit Zarathustra's Vorrede an. Der Prophet hat sich entschlossen, ein Mensch zu werden - und beginnt damit seinen Untergang. Beim Abstieg aus sonnenlichten Höhen trifft er zunächst im Wald einen Einsamen, der noch nichts davon gehört hat, daß Gott todt ist! Auf dem Marktplatz in der Stadt angekommen, verkündet Zarathustra dem versammelten Volk zwei entgegengesetzte Zukunftsperspektiven: den Übermenschen und den letzten Menschen: Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Da gerade das Spektakel eines Seiltänzers über dem Marktplatz bevorsteht, nimmt der Prophet das Bild vom Seiltänzer als Metapher auf: Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch - ein Seil über einem Abgrunde. Als das Volk ihn nicht versteht, spricht er vom Verächtlichsten, dem letzten Menschen: Es kommt die Zeit des verächtlichsten Menschen, der sich selbst nicht mehr verachten kann. Auch damit erntet er nur Unverständnis und wird verlacht. Ich will die Menschen den Sinn ihres Lebens lehren: welcher ist der Übermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch! Den Sinn des Seins nicht im Marktspektakel zu sehen, ist dem Volk natürlich zu hoch; und so macht sich Zarathustra auf die Suche nach lebendigen Gefährten, die ihm folgen, weil sie sich selber folgen wollen.

An sie richten sich Die Reden Zarathustra's. Sie beginnen mit den drei Verwandlungen, mit denen der Prophet die Verwandlungen des ,,Geistes`` meint: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe. Dem Kamel gleich, eilt der tragsame Geist in die einsamste Wüste -, wo er zum Löwen wird, der frei sein will: ,,Du sollst`` heißt der große Drache. Aber der Geist des Löwen sagt ,,ich will``. Bejahen die Freiheit und Verneinen die Pflicht, dazu bedarf es eines Löwen: Aber sagt, meine Brüder, was vermag noch das Kind, das auch der Löwe nicht vermochte? fragt Zarathustra und gibt sogleich die Antwort: Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-Sagen. Eine Parodie der frohen Botschaft ist unverkennbar. Ja, zum Spiel des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-Sagens: seinen Willen will nur der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene. So macht sich Zarathustra weiter über die Christen lustig und entlarvt in der "Nächstenliebe nur ihre schlechte Eigenliebe: eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber, wirft er ihnen vor. Schlechte Liebe macht Einsamkeit zum Gefängnis: Der eine geht zum Nächsten, weil er sich nicht, der andere, weil er sich verlieren möchte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus Einsamkeit ein Gefängnis.

Der Weg des Schaffenden dagegen weist zu sich selbst und er scheut sich nicht vor dem Alleinsein: Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und was findet er auf dem Weg neben alten und jungen Weiblein? Das Kind im Manne? Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib, als das gefährlichste Spielzeug. Wer da nicht sado-masochistische Neigungen beim Propheten vermutet. Und so gibt ihm ein altes Weiblein eine kleine Wahrheit: ,,Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!`` Damit sie ihn peitschen während er am Kreuze hängt? Oder ihn peitscheschwingend vor ihren Karren spannen? Dorotheas Rache des heidnischen Fleischmanns sollte gnadenlos werden.- Zarathustra's letzte Rede handelt Von der schenkenden Tugend. Man soll die Tugend nicht in himmlische Höhen verfliegen lassen: Führt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurück - ja, zurück zu Leib und Leben: daß sie der Erde ihren Sinn gebe, einen Menschen-Sinn! Der Mensch soll das Maß aller Dinge sein. Dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhöhten wird die Seele fröhlich. In Zarathustra wirkt auch das intellektuale Gewissen nach: Der Mensch der Erkenntnis muß nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch seine Freunde hassen können. In der Vorahnung des großen Mittags verstößt der Prophet seine Jünger, weil sie sich noch nicht gesucht hatten: Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So tun alle Gläubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben.

Der ZWEITE TEIL knüpft an den Schluss der letzten Rede an: ,,- und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben``. Der Prophet begibt sich wieder in die Einsamkeit seiner Berghöhle. Dort reflektiert er sich, bis er nach einigen Jahren eine Vision im Spiegel hat und sich wieder zu den Menschen auf den Weg macht. Auf den glückseligen Inseln wandelnd, umgeben vom Überfluss ihres fruchtbaren Landes, blickt er auf ferne Meere: Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte, nun aber lehre ich euch sagen: Übermensch.- Im Grablied fragt sich Zarathustra, wohin jene fröhliche Weisheit seiner Jugend floh. Die Weisheit findet er nicht mehr, dafür aber seinen Willen: ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das heißt mein Wille. Aber ist es ein ,,Wille zur Wahrheit``, fragt er sich am Beginn seiner Selbstüberwindung sogleich weiter: natürlich nicht; denn das ist ein ganzer Wille; ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht, und auch wenn ihr vom Guten und Bösen redet und von den Wertschätzungen. Als Wille zur Macht muss sich das Leben fortzeugend selbst überwinden; denn ,,Alles ist wert, daß es zugrunde geht``.- Aber nicht ohne Wiederkehr: Die stillste Stunde naht und der Prophet trennt sich erneut von seinen Jüngern.

Im DRITTEN TEIL unternimmt Zarathustra in Erwartung des großen Mittags seine einsame Wanderung und gelobt sich dabei, was hart macht: Ganz hart ist allein das Edelste. Das verwundert natürlich die Küchenkohle: ,,Warum so hart!``- sprach zum Diamanten einst die Küchenkohle; ,,sind wir nicht Nahverwandte?`` Dieses Rätsel verblasst vor dem abgründlichen Gedanken Zarathustra's, der im Augenblick zwei Ewigkeiten vereinigt sieht: ,,Alles Gerade lügt`` und ,,Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis``, sprach so nicht der Geist der Schwere? Und der Lehrer der ewigen Wiederkunft stimmt sogleich ein anderes Tanzlied mit dem Leben an: Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergaß doch die Peitsche nicht?- Nein! Auch das Leben fand seine Natur jenseits von Gut und Böse und mahnte den Propheten zur Ruhe. Es erinnerte Zarathustra an die Mitternachtsglocke, die er schon so oft in seiner Höhle hoch droben gehört, aber bisher nicht verstanden hatte. Schlag auf Schlag spricht fortan die Glocke zu ihm:

Eins!

Oh Mensch! Gieb Acht!

Zwei!

Was spricht die tiefe Mitternacht?

Drei!

Ich schlief, ich schlief-,

Vier!

Aus tiefem Traum bin ich erwacht:-

Fünf!

Die Welt ist tief,

Sechs!

Und tiefer als der Tag gedacht.

Sieben!

Tief ist ihr Weh-,

Acht!

Lust - tiefer noch als Herzeleid:

Neun!

Weh spricht: Vergeh!

Zehn!

Doch alle Lust will Ewigkeit-,

Elf!

- will tiefe, tiefe Ewigkeit!

Zwölf!

Der VIERTE TEIL handelt von der Versuchung des Propheten durch den Wahrsager der grossen Müdigkeit. Mit seinem Notschrei will er Zarathustra zu seiner letzten Sünde verführen, zum Mitleiden: Alles ist gleich, es lohnt sich nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt. Dabei ist es der höhere Mensch, der nach ihm schreit,- aus tiefem Wald. Als sich der über die Jahre grau gewordene Prophet vom Berge herab auf den Weg in den Wald macht, trifft er dort vielerlei wunderliche Wesen und Gestalten - und am Ende auf seinen Schatten: Ihr Verzweifelten! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also euren Notschrei? Und nun weiß ich auch, wo er zu suchen ist, den ich umsonst suchte: der höhere Mensch - In seiner eigenen Höhle sitzt er: Ihr seid nur Brücken: mögen Höhere auf euch hinüberschreiten! Seine Kinder, die lachenden Löwen wünscht sich Zarathustra herbei, um die Pöbel-Schundhunde in die Flucht zu schlagen und Raum für den lachenden Tanz der höheren Menschen zu schaffen. Auf dem Eselsfest lernen sie zur Erweckung über sich selber lachen. Das trunkende Lied zur Mitternachtsglocke, Zarathustra's Rundgesang vom Menschen und seiner Lust, die nur Ewigkeit will, endet im Zeichen: Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran! Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte nach meinem Werke! Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: - Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag! - Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. Dieser Heraufkunft des grossen Mittags wird Allen 100 Jahre später seinen grandiosen Auftakt zu Manhattan folgen lassen.


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Ingo Tessmann 2007-04-15